Ich stehe an der Bushaltestelle. Wenn mir die Haltestelle, die Busnummer und zurück dasselbe aufgeschrieben wird, ist es ok für mich zu fahren. Die Haltestellen erkennt man. Dort gibt es aber keinen Plan. Man muss genau schauen, wenn der Bus mit der eigenen Nummer oder Richtung angerauscht kommt. Per Handzeichen muss der Bus angehalten werden. Ich stehe todesmutig mit hochgerecktem Arm alleine da und der Fahrer ignoriert mich. Ich rege mich echt auf. Da bin ich schon mal mutig und der Alte starrt störrisch geradeaus. Passiert aber auch den Einheimischen. Der Busfahrer hat grad mal keinen Bock durch das Schlagloch an der Haltestelle zu fahren, von der linken auf die rechte Spur zu wechseln oder für eine Person allein zu halten. Vielleicht hat er auch seine Tage. Das weiß nur er allein. Im Bus setzt sich eine Ordensschwester neben mich. Im Allgemeinen haben die Menschen eher einen etwas stoischen Blick aufgesetzt. Sobald sie allerdings mitbekommen, dass man Hilfe braucht, oder sie angesprochen werde erhellen sich die Gesichter. Die Nonne und ich unterhalten uns mit Händen und Füßen. Sie wird eine Reise nach Fatima, Deutschland und zum Papa nach Rom machen. Sie berührt mich immer wieder am Arm und wir sprechen zueinander ganz zugewandt. Immer wieder fällt hier auf, dass Körperkontakt und Nähe viel Selbstverständlicher sind. Ich mag das.
Ich laufe vom Ufer in die hügelige alte Kolonialstadt Olinda hoch. Kopfsteinpflastergassen sind gesäumt von alten bunten Häusern. Einen steilen Berg erklimmend erreiche ich das Oberdorf. Von hier aus habe ich einen wunderschönen Blick. Das koloniale Olinda mit Kirchen und Palmen schmiegt sich an die Küste und dahinter erhebt sich das mondäne und moderne Recife mit seinen Wolkenkratzern. Unterschiedlicher kann eine Aussicht nicht sein. Ich schlendere wieder Richtung Ufer. Wunderschöne Live Musik schallt mir entgegen.

Neugierig schaue ich in das kleine Haus am Marktplatz mit den Verkaufsständen davor. Ein freier Raum mit einer Bühne befindet sich darin. Auf der Bühne sitzen mindestens 10 Personen. Sie spielen Instrumente und singen. Im freien Raum findet offensichtlich eine Probe oder ein Training statt. Zuerst präsentiert sich ein Paar mit Fahne. Dann werden verschiedene Tänze geprobt. Eine Mischung aus typischen Folklore Kreistänzen mit Wiegeschritten und Sprüngen. Dann wieder Sambageprägte Tanzeinlagen. Ich bin total begeistert.
Am liebsten würd ich sofort mitmachen, reiß mich aber zusammen. Eine tolle Atmosphäre herrscht in diesem Raum mit der Musik und dem Tanz. Die Tänzer sind sehr professionell. Man sieht an den Bewegungen und der Körperhaltung die Schulung. Es ist mir ein Fest zuzusehen. Hier jede Woche zu trainieren wäre ein Traum. Ich liebe afrikanischen Tanz, sowie lateinamerikanischen. Hier verbindet sich beides in einem folkloristischen Mix. Dennoch muss ich mich irgendwann losreißen.
Auf der Rückfahrt fahren wir am Stadtrand von Recife über eine Brücke. Darunter sind im Uferbereich Wellblechhütten auf Stelzen. Ich denke, dass die Spanne zwischen Arm und Reich in Brasilien sehr groß ist. Zwischen diesen Hütten und den Häusern in Boa Viagem liegen Welten.
Zurück in Recife möchte ich mir die Altstadt anschauen. Da aber Sonntagmittag ist, ist hier alles geschlossen und wie ausgestorben. Ich lasse mich von meinem Instinkt leiten und gehe über eine Brücke. Plötzlich bin ich mittendrin. Hier findet das Literaturfest von Recife heute statt auf der Straße statt. Junge Leute üben Sprünge auf einem aufgebauten Turn- Parcours, spielen Basketball in einem improvisierten Feld. Große Zelte sind für die Literatur aufgebaut. Ein großer Platz öffnet sich zum Ufer hin. Eine Musikkapelle hat bis gerade gespielt. Eine Bühne für Live Musik ist aufgebaut. Viele junge, moderne Menschen tummeln sich auf dem Platz. Die junge Generation in den Städten scheint sich auf der Welt überall zu gleichen. Celulares, Smartphones hat hier sowieso fast jeder. Aber das ist mir in Vietnam auch schon aufgefallen. Am Abend arbeitet ein anderer Hospitalero an der Rezeption. Wir kommen ins Gespräch. Er ist ziemlich schrullig. Er erzählt mir, dass er hier in Brasilien gar nichts mag. Er ist ein totaler Japan Anhänger. Er hat einen absolut femininen Touch. In Brasilien sei alles zu bemängeln und er wolle gerne viel reisen. Ich bin sehr erstaunt, da die Meisten bisher doch auf ihre Weise stolz auf ihre Wurzeln waren. Ausnahmen bestätigen immer die Regel.



